Vergessene Grenzen

Zäune, die eher einladen als aussperren. Vergessene Grenzen, von denen niemand mehr weiß, was sie einst festhalten oder schützen sollten.  Sie laden geradezu zum Überschreiten ein.

Zurückerobert von ihrer Umgebung  legen Sie dennoch Zeugnis ab von dem Bemühen, die Dinge im Zaum zu halten.

Sie sind wie die unsichtbaren Grenzen in unseren Köpfen, die uns oft hindern, wir selbst zu werden.  Einst errichtet, um uns vor der Gefahr zu schützen, der wir nicht schadlos begegnen konnten.

Zäune, aufgebaut wie Korsettstangen, um uns einen Halt zu geben in schwierigen Zeiten, in denen wir schwankend waren. Linien, die nicht überschritten werden wollten, weil dahinter das Unbekannte lauerte. Schranken, errichtet von anderen, die für uns unser Territorium abgesteckt hatten.

Aber ist die Gefahr nicht lange gebannt? Sind wir nicht stärker geworden? Das Gespenst, das uns erschreckte, nicht längst als Schabernack erkannt? Können wir heute nicht aufrecht stehen ohne das Gerüst aus Regeln, das wir einst brauchten?

Sind wir nicht frei, Grenzen zu überschreiten, weil das Unbekannte uns bereichert statt uns zu gefährden? Wird es nicht Zeit, die Zäune in unserem Kopf einzureißen, deren Fundamente sowieso lange brüchig sind?

Sollten wir nicht zulassen, dass wir berührt werden, ohne die Angst verletzt zu werden? Die Schranken öffnen? Das Muster der Gitterstäbe aus unserer Netzhaut löschen und erkennen, welche Möglichkeiten auf der anderen Seite des Zaunes warten?

Manchmal braucht es nur einen Tritt gegen den morschen Pfahl, einen Stoß, der das alte Tor aus den Angeln hebt. Manchmal bedeutet es einen Griff mit bloßer Hand in den Stacheldraht. Ist es das wert?

Was immer wir finden, es kann niemals eine Enttäuschung sein. Denn die Grenzen in uns, sind die einzigen, die wir immer überschreiten können, und immer wieder. Welche Zäune und Schranken unser Leben auch sonst bestimmen.

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Uups, ich und Technik – ein Ausflug…

Das war ein toller Abend… als Jürgen und ich nächtens nach der Pizza in seiner Werkstatt landeten.  Jürgen ist Fan von Großmodellfliegern und bastelt eine Menge selbst daran herum. Ehrfürchtig lauschte ich seinen Ausführungen über Zylinder, Propellernaben und Vergaser. Und auch meine Kamera fand Freude an dem Ambiente. Aber bitte, bitte nicht fragen, was ich da fotografiert habe…

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Sehnsucht – bittersüß?

„Sehnsucht“ tippe ich in die SMS, die ich mittags an meinen Geliebten schicke. Warum? Weil es sich genau so anfühlt.  Genau so? Wie was? Habe ich ein akutes Bedürfnis nach seiner Nähe? Seiner Stimme?  Seiner Berührung?  Hmm, das alles wäre gerade im Moment eigentlich nicht so passend. Dennoch ist es da: dieses ziehende, zerrende, süße, leicht ins Schmerzliche gehende Gefühl… Sehnsucht eben… In diesem Fall ein schönes Gefühl, aber ist Sehnsucht immer schön? Bittersüß?

Nachschlagen! Aber irgendwie helfen auch die großen Philosophen nicht weiter. Und auch nicht Wikipedia. Niemand definiert zum Beispiel endgültig, ob man sich nach etwas sehnen kann, das man überhaupt nicht kennt.  Habt ihr euch schon mal nach etwas Unbekanntem gesehnt?

Da gibt es die „Todessehnsucht“. Ganz offensichtlich eine Sehnsucht nach etwas Unbekanntem. Aber wenn ihr mal ganz genau überlegt – sind es nicht meist Sehnsüchte nach Dingen, Menschen, Ereignissen, die man einmal hatte oder kannte  oder erlebte?  Und auch die romantisch beschworene Sehnsucht nach der Geliebten, die es noch nicht ist – ist das nicht eher ein Wunsch, basierend auf der Sehnsucht nach der bereits bekannten Nähe, hinter der man sich endloses Potenzial erträumt?

Wenn Sehnsucht und Wunsch sich also unterscheiden, vielleicht in dem Bittersüßen, wie profan kann Sehnsucht dann überhaupt sein? Kann man sich z.B. nach einem Urlaub am Strand sehnen? Oder nach einem neuen Outfit in bleu oder Turnschuhen mit Blümchen? Gibt es große und kleine Sehnsüchte?

Und wie unterscheiden sich dann Bedürfnisse und Sehnsüchte? Kann  man sich nach Grundbedürfnissen sehnen, die – lt. Maslowscher Pyramide – z.B. auch Geborgenheit und Anerkennung umfassen? Kann man sich nach Anerkennung sehnen, wenn man sie nie empfangen hat? Das wäre dann doch wieder eine Sehnsucht nach dem Unbekannten. Wenn ich mich heute ab und zu nach Geborgenheit sehne, so kann ich das, weil ich sie kenne.  Ich wurde in einer tollen Familie groß.  Heute lebe ich allein. Momente der Geborgenheit empfinde ich selten.  Und deshalb sehne ich mich ab und zu danach. An wen ich die Sehnsuchts-SMS schickte? Nun, an jemanden, der unser Beisammensein neulich zutreffend als Verhältnis und nicht als Beziehung beschrieb. Es war wohl mehr um des Bittersüßen willens. Eine kleine Sehnsucht sozusagen?

Warum setzen wir uns nicht fünf Minuten hin und finden heraus, nach was wir uns wirklich sehnen. Und sortieren dabei aus, was ein Wunsch oder vielleicht ein Grundbedürfnis ist. Und dann finden wir vielleicht  heraus, wie sich das wirklich anfühlt und was das ist – die Sehnsucht. Schauen wir mal…

Einmal noch im meinem biblischen Alter mit meinem Pferd im großen Sport erfolgreich sein… Eindeutig ein Wunsch. Oder ein Ziel. Auf keinen Fall Sehnsucht.

Nach Hause kommen. Kennt ihr das? Da hat man endlich drei Wochen Urlaub und so am Ende der zweiten Woche fängt irgendwas an, an uns zu zupfen. Wir wollen „nach Haus“. Dann stellt man sich diesen Augenblick vor, in dem man die Tür aufschließt und alles wieder in Besitz nimmt. Die Augenfreuen sich über das Lieblingsbild und Hände streichen heimlich über das schöne Holz des Küchentresens. Ein Grundbedürfnis nach Sicherheit und Geborgenheit? Ja, vielleicht auch, aber da ist mehr dran. Ich finde, eine kleine Sehnsucht.

Afrika! Mit Afrika meine ich natürlich nicht diesen ganzen wirren Kontinent, sondern „mein Afrika“. Das liegt irgendwo in der Einsamkeit zwischen dem mondbeschienenen Rand eines Kraters mitten im Massailand, dem Fundort von Leakeys homo erectus, dem Flussufer des schimmernden Sambesis, wo Nyaminyami darüber wacht, dass der Elefantenbulle das Küchenzelt nicht völlig zertrampelt und den Schiffswracks an der Skeleton Coast. Ich finde, es ist eine Sehnsucht, wenn der Einstiegssatz des Films „Jenseits von Afrika“! mir unweigerlich die Tränen in die Augen treibt: Ich hatte eine Farm in Afrika… Selbst der Tonfall des Synchronsprechers ist pure Sehnsucht. Ich kann mein Afrika riechen und es auf der Zunge schmecken. Wie toll… Eindeutig eine Sehnsucht. Bittersüß.

Ich vermisse dich, mein Bruder. Da gab es diesen einen Menschen. Dem man so nahe war. Mit dem so vieles im Leben geteilt hat. Der dich so verstanden hat wie kein anderer. Ein Bruder, ein Geliebter, ein Freund…  Den Kontakt verloren. Immer wussten wir, dass er da war. Wir konnten ihn spüren. In uns. Als ein Teil unserer Lebenskraft. Nun ist er gegangen. Still. Ohne sich zu verabschieden. Jetzt ist da nur Leere. Ihn noch einmal ansehen dürfen, sein Gesicht in den Händen halten… Sehnsucht? Nein. Bedauern. Trauer. Nicht nur mein Kopf, auch mein Herz hat verstanden, dass dies unwiederbringlich ist. Keine Sehnsucht. Ein Gefühl der Dankbarkeit, dass ich dies erleben durfte. Aber auch bittersüß.

Hier ist noch eine Sehnsucht. „Ein Sehnen, das sich niemals stillt…“ Ein wundervolles Sehnen.  Dem wir uns hingeben sollten.  Und ein Kniefall vor diesem Dichter, dem es gegeben war, die Worte so zu setzen, dass wir sie fühlen.

Ich lieb ein pulsierendes Leben,
das prickelt und schwellet und quillt,
ein ewiges Senken und Heben,
ein Sehnen, das niemals sich stillt.

Ein stetiges Wogen und Wagen
auf schwanker, gefährlicher Bahn,
von den Wellen des Glückes getragen
im leichten, gebrechlichen Kahn …

Und senkt einst die Göttin die Waage,
zerreißt sie, was mild sie gewebt, –
ich schließe die Augen und sage:
Ich habe geliebt und gelebt!

Rainer Maria Rilke, Prag um 1894

Eine Liebe, eine Sehnsucht, eine Liebe?

Das Haus, das mich träumt oder die Anziehungskraft des Alters

Ich bin ein Spinner. Und ganz schön versponnen. Deshalb habe ich mir ein altes Haus gekauft. Weil ich nie schlau werde. Nicht in diesem Leben. Und immer wieder Dinge tue, weil sie sich gut anfühlen und richtig und nicht, weil meine Bewertungsdiagramm das auswertungstechnisch zwingend vorschlägt.

Und weil Niedrigenergiehäuser mich irgendwie einfach nicht anmachen. Ebenso wenig wie Neubausiedlungen.

Also habe ich mir vor ein paar Jahren ganz ohne Bewertungsdiagramm ein über 200 Jahre altes Fachwerkhaus mit Geschichte gekauft.  Mit alter knarrender Eichentreppe, auf der des Nachts die Geister unterwegs sind. Ich höre die Stimmen spielender Kinder, das vorwurfsvolle Schimpfen einer alten Frau und die trotzige, sehnsuchtsvolle Stimme eines jungen Mannes, der keine Ruhe findet. Ich habe ihre Geschichte geschrieben, um sie zu besänftigen, aber sie wollen nicht weichen. Dies ist auch ihr Zuhause, ich werde es teilen müssen.

Wie Generationen von Frauen vor mir knie ich auf den Stufen der alten Eichentreppe, um sie zu ölen und dem Holz seinen warmen Glanz zurückzugeben. Auf dass ihm die Hundepfoten nichts mehr anhaben können.  Auch ich bin jetzt hier zuhause, ich wurde aufgenommen in die Gemeinschaft der Menschen, die hier beteten, lebten, arbeiteten und liebten.  Hier bin ich nie allein.

Der Dorfhistoriker meint, der niedrige Gewölbekeller sei noch viel älter als das Haus.  Irgendwann aus dem 17. Jahrhundert.  Auf den Überresten des abgerannten Gehöftes hat dann vor über 200 Jahren die kleine jüdische Gemeinde der Region ein Fachwerkhaus erbaut  – als Synagoge, als einen Ort des Betens und des Lernens.  Ich konnte nicht herausfinden, was während des Krieges geschah, als auch hier die Juden vertrieben wurden. Nach dem Krieg verkaufte die jüdische Gemeinde es als Wohnhaus.  Etliche Historiker aus Israel haben seitdem im alten Gewölbekeller nach der Mikwe, dem rituellen Bad gesucht.  Gefunden hat niemand etwas.

Dieses Haus hat zu mir gesprochen – von Anfang an. Die Wände wisperten mir von den Träumen seiner Bewohner und wie Tentakel griffen Bruchstücke seiner Geschichte nach meinem Geist.  Bereits bei der ersten Besichtigung fand ich einige hundert Meter entfernt den alten, jüdischen Friedhof unter den großen Bäumen am Waldrand gegenüber. Ein Ort voll des flirrenden Lichts, glitzernder Spinnweben, tausender Waldblumen und einer ungeheuren Stille.

Ich verzichtete auf den Bausachverständigen – und wurde belohnt mit durchgefaulten Grundbalken, nassen Wänden und Lochfraß in den Leitungen. Ich spinne halt!  Es gibt in diesem Haus keine gerade Linie oder Fläche. Gardinenstangen kann man entweder parallel zur Decke oder zum Fenster hängen – beides geht nicht. Es gibt tückische kleine Absätze im Boden von Zimmer zu Zimmer, alle Decken sind unterschiedlich hoch.  Von einigen Böden habe ich vier! Lagen Bodenbelag entfernt, bevor ich auf den alten Holzboden stieß. Die Heißwasserleitungen laufen auf Putz, über die Fenster schweigen wir. Ich habe es behutsam renoviert, nur ein wenig. Ich habe es mit alten Lieblingsstücken und moderner Kunst gefüllt. Und mit den Bildern meiner Ahnen. In meiner Cowboydiele hängen die Lassos und die Chinks meiner Viehtriebe. Die Küche ist bis zur Decke voll mit alten Zwiebelmuster Spruchbrettern, Dosen, Töpfen… Von  meinem Platz am Schreibtisch sehe ich auf die verwinkelten Giebel und roten Ziegeldächer des alten Dorfkerns. Dahinter steigt der Wald die Hügel bis zum Himmel empor.

Ich wohne hier nicht, ich lebe hier. Es ist ein Zuhause. Es war ein Zuhause für alle Menschen, die vor mir darin lebten. Menschen, betende, singende, streitende, lachende, sterbende und schreiende, liebende und träumende, gaben ihm seine Aura. Vielleicht lag es an den vielen Betern und Gebeten,  dass das Haus eines Tages begann, etwas an seine Bewohner zurückzugeben.

Als ich jünger war, träumte ich von weiten Lofts im Industriestil mit japanischer Minimaleinrichtung. Jetzt träumt dieses Haus mich. Mit den vielen kleinen Fenstern, die die Sonnenstrahlen fangen und den ganzen Tag lang überall kleine Feuer entzünden, die sich spiegeln in Silber, Bronze, altem Glas und poliertem Holz. Versponnen….

Hier kann man Geschichten schreiben, spinnen, träumen. Von  hier geht man fort, um wiederzukehren. Es ist nicht einmal ein schönes Haus. Man kann es schön einrichten. Aber seine ungeheure Anziehungskraft besteht aus seiner Atmosphäre. Um sie zu spüren und sich daran zu bereichern, muss man wahrscheinlich ein Spinner sein. So einer wie ich.

Ein großes Herz oder warum manche Liebe wehrhaft macht!

Dieser Artikel ist über Tiere und Menschen, über Gemeinden und Steuern, über eine Liebe und einen Kampf, über Persönlichkeitsbildung und Politik. Und er ist so lang wie das Thema komplex ist.

Die junge Journalistin, die gerade ein Interview in einem hessischen Pferdestall geführt hat, fasst ihre Verwunderung über die öffentliche Diskussion der letzten Zeit zusammen: „Es ist bemerkenswert, wie das Thema Pferdesteuer Wellen schlägt. Ich hätte nicht erwartet, dass es eine so starke Lobby und einen solchen Zusammenhalt zwischen den Pferdeleuten gibt.“

„Pferdeleute“ sagt sie. Das hat sie schon gelernt bei Ihren Recherchen. Denn das Thema betrifft bei weitem nicht nur die Reiter. Da sind die Stallbetreiber, Reitlehrer, Tierärzte,  Schmiede, Handwerker, Futterhändler… Pferdehaltung ist ein Wirtschaftsfaktor für die Region. Und die Pferdeleute wehren sich gegen die Einführung der Pferdesteuer, die die Länder den Gemeinden zur Sanierung ihrer maroden Finanzsituation empfohlen hat. Das hat seinen Grund.

 Der Totilas Schaden oder kein Licht im Offenstall

Deutschland war immer ein Pferdeland. Mit großartigen Pferden und bemerkenswerten Reitern. Mit großen Reitlehrern, die internationalen Ruf erwarben. Das Pferd in der deutschen Kunst und Literatur zeugt von der tiefen Verbundenheit der Deutschen mit ihren Pferden. Pferde sind Kulturgut. Reiten ist Breitensport. Wer immer die Idee mit der Pferdesteuer ausgeheckt hat – und das passiert alle Jahre wieder – unterliegt dem Totilas Syndrom. Wenn heute die nichtreitende Öffentlichkeit etwas über Pferde erfährt, so dreht es sich immer um den großen Reitsport. Oder um große Skandale. Und dann ist die Rede von Pferden, die Millionen wert sind und die ihren Besitzern Millionen einbringen. Auf dem Parcours oder der Rennbahn.

Welcher durchschnittliche Nichtreiter hat beim Thema Pferd schon die beiden 20jährigen Mädchen im Auge, die abends im Dunkeln nach der Arbeit Hunderte von Litern Wasser in ihren kleinen Offenstall ohne Wasseranschluss und Elektrik schleppen?

 Der Mythos vom reichen Reiter oder Gummistiefel im Winter

Rennpferde, Turnierpferde und ihre Reiter sind die Spitze eines Eisbergs. Reiter sind heute vor allem Freizeitreiter und nennen sich bewusst so. Die Definition beinhaltet – unter Abdeckung einer Vielfalt von Reitweisen – vor allem ein gemeinsames Verständnis vom Partner Pferd. Dazu gehört eine artgerechte Haltung ebenso wie die Sichtweise des Pferdes als Freizeit-Partner in einer Partnerschaft, in der die Bedürfnisse aller Beteiligten gleichermaßen berücksichtigt werden.

Wer heute bei einem Freizeitreiterstall vorfährt, dürfte sich als erstes über die Ansammlung von vom Alter gekennzeichneten Kleinwagen wundern, deren Rücksitze Pferdedecken und Hundehaare zieren. Das sind die fahrbaren Untersätze von Leuten, die für die Tierarztrechnung abends zusätzlich in der Kneipe kellnern, deren Winterjacken schon 5 Jahre alt sind, die Pferdedecken aber neu.  Die in den letzten Jahren ihren Urlaub im Stall statt auf Mallorca verbracht haben.

Deutsche TV Produktionen verbreiten immer noch gerne das Bild des Reiters, der mit glänzenden Stiefeln und blitzender Karosse vor dem Stallgrün vorfährt und sein fertig gesatteltes Pferd vom Stallknecht entgegen nimmt. Glänzende Stiefel? Für einen jugendlichen Reiter ist der Erwerb der ersten Lederreitstiefel ein von sämtlichen Verwandten finanzierter Höhepunkt seiner Karriere. Nach Jahren bitterer Schmerzen beim Auftauen der Füße, die in Gummistiefeln erst Stunden im Schnee herumgestapft sind, um dann bei der Fahrradfahrt heim vom Stall endgültig dem Kälteschock zu erliegen.

 Pferdemenschen oder warum Weihnachten nicht wichtig ist

Aber egal! Solche Widrigkeiten gibt es viele im Leben eines Reiters. Irgendwann kurz nach der Pubertät entscheidet sich ein Mensch dazu „Pferdemensch“ zu werden oder eben nicht. Ein Pferdemensch ist danach für den Rest seines Lebens unheilbar vom „Bazillus Cavallus“ befallen. Und nimmt dafür so ziemlich alles auf sich. Weil dieser Bazillus nämlich etwas mit Liebe zu tun hat und einer tiefgehenden Faszination. Wie passiert das?

Pferde sind in hohem Maße persönlichkeitsbildend. Anders als Hund oder Katze sind Pferde Fluchttiere. Hochsensible, auf ihre Umwelt ungeheuer fein reagierende Geschöpfe. Sie spiegeln ihr Gegenüber – im Umgang wie beim Reiten. Wer in Eile ist oder übellaunig, unruhig oder mit sich unzufrieden, wird mit seinem Pferd kein Stück weiterkommen. Oder wie es einer der großen hessischen Rittmeister früherer Zeiten, Rudolf Binding, formuliert: „Das Pferd ist dein Spiegel. Es schmeichelt dir nie. Es spiegelt dein Temperament. Es spiegelt auch seine Schwankungen.“ Und: Wer geradeaus will, wer das Leben sucht, wer Gebieter ist, vor allem Gebieter seiner selbst, wer gefasst ist und in sich gesammelt, wer sich vertraut und klaren Geistes ist, der mag wohl gut reiten.“ Der Umgang mit dem Pferd führt unweigerlich zur Entdeckung und Erkenntnis seiner selbst, gefolgt vom Erlernen der Selbstkontrolle und dem Gefühl tiefen Respekts und Dankbarkeit dem Wesen gegenüber, das dies ermöglicht hat.

Pferde sind keine Tennisschläger, die man in die Ecke wirft, wenn man gerade keinen Bock mehr auf den Sport hat. Und Reiten findet nicht in einer geheizten Turnhalle statt. Pferde wissen nichts von Weihnachten und Geburtstagen. Winterkälte und Sommerhitze ändern nichts an ihren Grundbedürfnissen: Pflege, Futter und Bewegung. Reiter sind Draussen-Menschen. Sie wissen an jedem Tag sehr genau wie das Wetter ist. Und die Geburtstags-Party startet erst, wenn das Pferd versorgt ist. Verantwortung bis zur Hingabe ist ein weiteres gemeinsames Kennzeichen von Pferdemenschen. Ausnahmen bestätigen auch hier die Regel.

 Ein großes Herz und wie man es bekommt

Aber es gibt noch mehr zu lernen mit dem Partner Pferd. Was, das kann man z.B. am „Abend der Vereine“ bewundern, der einmal im Jahr im Rahmen des Frankfurter Festhallenturniers stattfindet. Die Mitglieder lokaler Reitvereine zeigen in einem Schaubild, was sie können. Hier sind die Freizeitreiter unterwegs, mit einem bunten Rassemix von Warmblut über Haflinger bis Shetland Pony. Überwiegend sind es Kinder und Jugendliche, bis zu fünfzig Mitwirkende hat ein solches liebevoll gestaltetes Schaubild. Wer nicht das Glück hat, ein Pferd zu reiten, der läuft, tanzt, singt und musiziert.

Es bewegend zu sehen, was dort in der Arena geleistet wird. Man denke nur einmal daran, was es bedeutet, die Kostüme und Utensilien zu organisieren: leihen, erbetteln, Sponsoren suchen… Und Dutzende von Stunden nächtlicher Näh- und Bastelarbeit binden Angehörige und Freunde aller Beteiligten ein. Obwohl die reiterischen Leistungen durchaus überzeugend sind, ist etwas anders viel bedeutender: Auf einer so großen Fläche, unter dem Scheinwerferlicht der durchaus respekteinflößenden und eindrucksvoll festlichen geschmückten Festhalle, unter Hunderten  wachsamer Augen eine 10minütige Choreografie sauber zu spielen, das verlangt einen ungeheuren Einsatz von Mensch und Tier. Das Herzklopfen übertönt fast die Musik. Es ist ein ständiges über seinen eigenen Schatten springen. Aber die Erfahrung ist einzigartig und lehrreich. Hierfür haben alle wochenlang geübt, ob fünf oder fünfzig Jahre alt. Und sie haben viel dabei gelernt. Zum einen, wie es ist, ein Teil einer Gruppe zu sein, die perfekt miteinander funktionieren muss. Die auch die Jüngsten, Schwächsten, Gefallenen, Stolpernden und Falschreiter wieder aufsammelt und mit sich trägt. Die weiß, dass man nur gemeinsam erfolgreich sein kann. Und eine weitere Erfahrung: Disziplin. Selbst die Kleinsten wissen, dass es bei der Arbeit mit Pferden nicht hilft, in Panik zu verfallen. Nur Ruhe und Kontrolle helfen in verzwickten Situationen weiter. Dafür gibt es immer viele schöne und mutige Beispiele zu sehen.

Was für ein großes Herz muss das kleine Mädchen auf dem schnellen, recht wild dreinschauenden Shetland Pony haben, wenn es mitten in dieser riesigen Arena eine Reihe von Pferden für einen Sprung anführt, wohl wissend, dass die folgenden Reiter von ihrer Leistung abhängig sind!

Apropos Shetland Pony – diese und andere Winzlinge unter den Pferden sind oft die Lieblinge und Stars vieler Vereine und vor allem der allerjüngsten Reiter! Von nun an sollen die nächsten 10 Jahre eines solchen Winzlings die Gemeinde um bis zu 7.500 EUR bereichern.

Eine Gemeinde wundert sich oder die Entfernung zwischen Mensch und Politik

Pferdebesitzer sind demographisch so unterschiedlich wie nur was. Wohl keine Gemeinde hätte zum Thema Pferdesteuer erwartet, sich plötzlich einer solchen Lobby gegenüber zu sehen und einer so breiten öffentlichen Diskussion ausgesetzt zu sein. Da mussten bei der öffentlichen Sitzung zur Abstimmung über die Pferdesteuer zunächst  zusätzliche Stühle besorgt werden, um den 350 Reiter aus dieser und den umliegenden Gemeinden Platz zu schaffen, die gekommen waren, um zu protestieren. Die folgende Abstimmung fiel im Übrigen gegen die Pferdesteuer aus. Die für die Prüfung des Antrags zuständige Dame aus der Nachbargemeinde sah sich mit Hunderten von E-Mails täglich konfrontiert, die nicht immer sachlich blieben.

Als es dann so aussah, als würde sich die Schlacht um die Pferdesteuer genau in dieser hessischen Gemeinde entschieden, tauchten die Fernseh- und Zeitungsleute auf. Und der Anteil an Sendezeit und Berichterstattung fiel für die Gemeindevertreter eher dürftig aus. Kopfkratzen! Wie konnte das sein?

Die Gemeinsamkeiten der ansonsten sehr unterschiedlichen „Pferdemenschen“ haben wir hier betrachtet. Dass sie auch gemeinsam aufstehen können, haben sie bewiesen. Im Internet gibt es Aktionsbündnisse und Unterschriftensammlungen. Alleine in Facebook halten mindestens fünf Gruppen alle Interessierten ständig auf dem allerneuesten Stand. In dieser Szene passiert nichts, was den wachsamen Beobachtern entginge. Sämtliche Verbände unterstützen die Initiativen und Aktionen gegen die Pferdesteuer. Mit Anschreiben an die Gemeinden und sachgerechten Argumenten. Und mit der Zusage anwaltlicher und finanzieller Unterstützung im Falle von Prozessen. Denn selbst mit der Entscheidung für die Pferdesteuer in einer Gemeinde wäre das Thema noch lange nicht beendet. Gibt es da doch den Paragraphen 62 a in den Landesverfassungen, der da lautet: „Der Sport genießt den Schutz und die Pflege des Staates, der Gemeinden und Gemeindeverbände.“Schon lange haben Anwälte Klageschriften in der Schublade liegen.

Aufwand gegen Nutzen – Kulturgut oder Steuerobjekt

Natürlich zählen vor allem auch wirtschaftliche Argumente. Wer oder was soll denn hier eigentlich besteuert werden? Das Pferd, das Reiten, der Reiter? Klar, das Pferd. Aber wie steht es mit der Steuer auf Schulpferde, Therapiepferde, Zuchtstuten, Fohlen? Ausnahmen? Ok. Und was ist den alten, nicht mehr reitbaren, kranken und Beistellpferden? Wer wird sich ihr Wohlergehen noch leisten können? Alle Ausnahmen einmal definiert und abgezogen, was bleibt? Und was kostet es, die Ausnahmen zu definieren und ständig zu überprüfen?

Es gibt in Deutschland keine zentrale Registraturstelle für Pferde. Gerne möchte man die Betreiber der Pensionsställe zur Einziehung der Steuer heranziehen. Was ist aber mit den zahllosen kleinen Offenställen, die an jeder Ecke des Landes wie Pilze aus dem Boden schießen? Was ist mit dem Nachvollziehen von Besitzerwechseln? Wie viele Reiter, die ja sowieso nicht in der Gemeinde wohnen, werden mal eben über die Gemeindegrenzen auswandern? Der wirtschaftliche Verlust der Stallbetreiber führt für die Gemeinde zu Einkommens- und Umsatzsteuerverlusten. Auch wenn Reitsport nicht mehr elitär ist, so gibt es doch weit mehr Fußballer als Reiter. Rechnet sich das Einkommen über die Pferdesteuer überhaupt gegen den Aufwand, sie zu erheben und die durch sie verursachten wirtschaftlichen Schäden in vielen Wirtschaftsbereichen der Gemeinde?

Sind unsere Pferde Kulturgut oder Steuerobjekt? Wie gut durchdacht ist diese Geldbeschaffungsmaßnahme? Wem nutzt und wem schadet sie? Wäre es nicht gerade in der heutigen Zeit unverantwortlich, auch nur einem Jugendlichen die Chance zu nehmen, das zu lernen, was der Umgang mit dem Pferd ihn lehren kann? Welcher andere Sport beeinflusst in so positiver Weise die Persönlichkeitsbildung und lehrt soviel Verantwortung, Mitgefühl, Disziplin und Lebensfreude? Und fördert, was wir allen Heranwachsenden und vor allem unseren Politikern so sehr wünschen: ein großes Herz.

Nie mehr einsam – das kann doch nicht so schwer sein…

Ich bin soooo einsam. Das stimmt ehrlich!  Ich hätte sooo gerne jemanden zu Reden. Und zum Kuscheln. Und zum….  Aber er müsste schon recht gut ausschauen. Nicht so wabbelig. Groß. Gepflegt. Und einfühlsam sein. Und klug. Stark. Intelligent. Schon bitte mit Allgemeinbildung. Einem eigenen Haus. Einem eigenen Hobby. Eigentlich also einer, der ganz zufrieden ist, dem nur gerade ich für sein Glück gefehlt habe. Gerade so wie ich bin. Mit meinem eigenem Haus. Und allen meinen Viechern. Die immer vorgehen. Einen, der mag, dass ich kratzbürstig, anspruchsvoll, treffend gemein und durchaus launisch bin. Der mich so liebt, wie ich bin: schon ein bisschen angefressen , nicht mehr ganz knackig. Ich würde alles für ihn kochen, was ich gerne mag. Nach Feierabend die Dinge gern kontrovers diskutieren. Ihm zuhören, wenn ich nicht gerade was zu sagen habe. Ich wäre fast an jedem Tag der Woche für ihn da. Nur nicht gerade, wenn ich reiten oder auf dem Turnier bin. Oder einkaufen im Baumarkt, um die Sachen für die Fensterreparatur zu holen. Ich würde ihm ganz auch ganz genau sagen, was er dabei zu tun hat. Naja, auch nicht gerade am Doktor-Donnerstag. Und nicht, wenn ich arbeiten muss oder auf eine Messe. Arbeit geht natürlich immer vor. Aber dafür muss er auch nie mit mir in Urlaub fahren. Weil das Geld dafür die Viecher gefressen haben. Er wird doch mögen, dass ich ein volles Leben hinter mir habe, nun fast alles weiß und natürlich aufrecht meinen Standpunk t behaupte. Ich bin 60 und voll flexibel, offen für alles.

Das kann doch nicht so schwer sein.

Fängt Alter im Kopf an?

Will uns denn wirklich einer von Weisheit sprechen, wenn er übers Altern spricht? Es bleibt doch einfach wahr: Alt werden ist nichts für Weicheier. Es piekt, miept, zupft, zerrt, nervt, verwirrt, verstört, macht böse und ist manchmal einfach eklig, wenn man so an sich herunter sieht.  Aber wann fängt Alter an? Wenn wir auf einem Fuß stehen üben, weil  der Stuhl zum Schuhe anziehen in der Diele nur im Weg steht? Wenn wir uns nach dem fallengelassenen Schlüssel bücken und überlegen, ob wir nicht gleich unter der Truhe sauber machen sollen, wenn wir schon einmal hier unten sind? Wenn wir morgens aufwachen und erst einmal zur Zustandsinventur unserer Knochen, Gelenke und Innereien schreiten?

Ich behaupte, vieles davon findet im Kopf statt. Es ist kein beginnender Alzheimer, wenn ich sprachlos vor der Kuchentheke stehe und mit leicht zitterndem Finger auf das Puddingteilchen deute, weil ich nicht weiß, wie es heißt. Fakt ist: ich konnte mir diese verdammten Namen nie merken. Vor allem , da ich viel in deutschen Landen rumgekommen bin und diese Teile regional überall anders heißen.  Auch wenn mich meine Freundin am Telefon sanft daran erinnert, dass ich ihr die Geschichte vom in der Waschmaschine gewaschenen Handy schon gestern erzählt habe, hat das noch nicht mit Demenz zu tun. Fakt ist: Ich habe diese „amüsante“ Geschichte gestern mindestens  vier Leuten erzählt, da sie mich zutiefst erschüttert hat.  Wie konnte ich nur! Ich hole es doch immerimmer aus der Hosentasche und lege es auf die Küchenfensterbank, bevor ich die Sachen in die Maschine packe… Vielleicht also doch?

Fakt ist: Ich erinnere mich sehr klar daran, dass ich als Kind schon durch die Wohnung streifte und mit dem Gebet auf den Lippen, das mir meine Mutter beigebracht hatte- Heiliger Antonius, Patron der Klüngeligen, hilf mir bitte suchen! – und diverse verlegte Spielzeuge wiederzufinden trachtete.  Ich habe mein ganzes Leben lang mindestens einmal im Monat mein Portemonnaie verschusselt und während der schweißtreibenden Suche überlegt, wo zum Teufel wohl die Telefonnummern von VISA und Mastercard abgelegt wären. Das weiß ich bis heute noch nicht und das letzte Mal lag das Teil im Gartenhaus neben der Rosenschere. Ich bin zufällig am zweiten Tag darüber gestolpert. Was das Alter sicher gebracht hat, ist eine immer geringer werdende Panik und eine größere Gelassenheit bei der Suche. Die Erfahrung hat gezeigt – irgendwo habe ich das Ding brav hingelegt.

Auch die Schmerzen in meinem Knie, die Monate dauerten, stellten sich unter den tadelnden Blicken meines Orthopäden nicht als per Google selbst diagnostizierte Baker-Zyste oder dauerhafter Gelenkverschleiß heraus,  sondern als schlichte Zerrung, die tatsächlich völlig wieder abheilte. Das war ebenso wahr bei meiner „Kalkschulter“ oder meinen Hüftbeschwerden – die kamen vom dauernden Humpeln wegen der Zerrung im Knie und wurden vom Chiropraktiker innerhalb von 3 Minuten „geheilt“, indem er mir das linke Bein wieder um 2 cm verlängerte. Ich bin wirklich kein Hypochonder, aber es tat echt weh und war megalästig, wenn ich täglich meine zwei Pferde trainierte und dann abends im Sportstudio… yippeeee, ich bin also gar nicht alt und alles, alles wird wieder gut.

Aber wahr ist, dass ich den Drücken und Drehen-Verschluß vom Rohrreiniger definitiv nicht mehr aufbekomme wegen der Daumengelenksarthrose. Aber sollten diese hellen Flecken auf dem Boden mich nicht daran erinnern, dass ich vor 3 Jahren einer Flasche mit demselbigen Mike-Krüger-Mechanismus mit der Wasserpumpenzange zu Leibe gerückt bin und den Rohreiniger großzügig auf dem Dielenboden verteilt habe? Autsch!

Vielleicht war ich vielleicht einfach schon mein ganzes Leben alt? Oder werde einfach nicht erwachsen?

Ich entschuldige mich an dieser Stelle bei allen, die es wirklich erwischt hat, ohne hier jetzt eine Diskussion über Greifhilfen anzetteln zu wollen. Ich für meinen Teil werde versuchen,  Veränderungen als Veränderungen zu begreifen, ohne sie panikartig zu etikettieren.